Wenn die schwarze Kutsche fährt...

Trauerzüge mit Verstorbenen mit Familie, Nachbarn und Freunden sind ein fester Bestandteil der Inseltradition und gelebte Anteilnahme am Tod der Menschen auf den Inseln. Zu einem würdevollen Weg durch den Ort gehört aber auch die Mitwirkung von Gästen und Insulaner:innen, die einem solchen Zug mit der schwarzen Kutsche begegnen. Es reicht, kurz anzuhalten, vom Rad abzusteigen, innezuhalten und Respekt zu zeigen, bis der Trauerzug vorbei ist.

Inselpastor Christian Neumann hat in „Uns Inselkark“ im Dezember 2021 auf das wichtige Thema aufmerksam gemacht:

 

Dem Tod begegnen – Abschiede gehören zum Leben

Was tun, wenn ein Trauerzug im Dorf meinen Weg kreuzt?

Jetzt mal ein ganz offenes Wort als Inselpastor: Was wir in diesem Jahr bei Überführungen von Verstorbenen und unserem Gang hinter der schwarzen Kutsche durch das Dorf erleben mussten, zeigt die bitteren Folgen von Traditionsabbruch, Verdrängen des Todes aus unserer Gesellschaft und nicht selten einfach mangelnden Anstand.

Wir sind bei jedem Mal von Radfahrern, einmal sogar von einer E-Karre überholt worden. Manche scheinen sich belustigt zu fühlen und meinen, es sei Inselfolklore, die ihnen geboten wird. Ein Gast hat bei unserem Ankommen an der Inselkirche seinen Fotoapparat hervorgeholt. Andere (leider auch Insulaner:innen) versuchen mit starrem Blick voraus möglichst schnell und rücksichtslos vorbeizukommen. Im Rathaus sind Beschwerden eingegangen, dass man im Urlaub nicht „mit sowas“ gestört werden möchte.

Die Menschen haben nicht das Sterben verlernt, aber den Umgang damit. Ich weiß, dass die Begegnung mit Tod und Trauer uns auch etwas zumutet: „memento mori“, sagten die Alten. Wir merken, dass wir selbst sterblich sind. Gerade deswegen versuchen wir hier auf Langeoog aber das Sterben und den Tod als einen Teil des Lebens zu gestalten. Ein würdevolles Abschiednehmen gehört bei uns dazu. Gerade auf der „Insel fürs Leben.“

Aus gegebenem Anlass habe ich im Folgenden 10 Punkte notiert, die in der unvorhersehbaren Situation, dass einem ein Trauerzug begegnet, beachtet werden sollten. Meiner Meinung nach kann entsprechendes Verhalten von allen Insulaner:innen und Gästen schlicht erwartet werden:

  1. Einen Trauerzug erkennt man an dem Zweispänner mit schwarzer Kutsche, dem/der dahinter gehenden Geistlichen (PastorIn im Talar) und einem aus unterschiedlich vielen Personen bestehenden Trauergeleit. Die Sterbeglocke der Inselkirche läutet (fast überall) hörbar.
  2. Einem Trauerzug zu begegnen, ist kein Grund, fluchtartig das Weite zu suchen. Vielmehr sollte dieser Moment zum Innehalten genutzt werden.
  3. Es reicht, einfach für diesen Moment am Straßenrand stehenzubleiben.
  4. Manche unterbrechen während des Vorbeizugs ihre Tätigkeiten und Gespräche und erweisen dem/der Verstorbenen und seinen/ihren Angehörigen damit ihren Respekt. Gut so.
  5. Man kann sich dem Trauerzug zuwenden, manche senken den Blick beim Vorbeifahren der Kutsche und/oder nicken einmal den dahinter gehenden Angehörigen anteilnehmend zu. Eine alte aber wichtige Geste: Männer können die Kopfbedeckung abnehmen.
  6. Im Urlaub hat man doch Zeit: Einen Trauerzug z.B. mit dem Fahrrad zu überholen ist nicht nur unnötig. Es können – etwa bei Gegenverkehr – auch Gefahren entstehen (Pferde scheuen!). Also, bitte in keinem Fall! Auch nicht auf dem Fußweg fahrend! Entweder im Hintergrund bleiben oder eine andere Strecke wählen. So viel Zeit muss sein.
  7. Auch wenn es ein Anblick ist, den man auf dem Festland gar nicht kennt: Ein Trauerzug ist keine Inselfolklore. Fotografieren und Filmen verboten!
  8. Traditionen und Verhaltensweisen wollen weitergegeben werden. Daher: (Groß-)Eltern, sagt’s den Kindern. Chef:innen, sagt es Euren Mitarbeitenden.
  9. Viele Insulaner:innen und Gäste schätzen sehr, dass auf der Insel „die Uhren anders ticken“ als auf dem Festland. Das gilt in besonderer Weise für unser Abschiednehmen von Verstorbenen. Helft mit, das zu bewahren! Im Falle des Todes steht die Zeit einmal still.
  10. Traditionen sind kein Selbstzweck, sondern sollen dem Leben dienen. In diesem Fall sollen sie den Angehörigen helfen, würdevoll ihren Abschied nehmen zu können und in der Trauer gut begleitet zu sein. Für unser Verhalten ihnen gegenüber kann es hilfreich sein, sich diese Frage zu stellen: „Was würde ich mir an ihrer Stelle jetzt wünschen oder verbitten?“ Empathie, sich einfühlen, hilft, sich angemessen zu verhalten.

Mögen mit einem guten Maß an Rücksicht, Anteilnahme und Respekt unsere Überführungen künftig dem Trauerfall angemessen vonstattengehen können.

Das hofft Ihr
Christian Neumann

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